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CABULA6
Sie lieben das Spiel
Die Geschichte von CABULA6 beginnt im Jahre 1999 an einem Zwischenort in New York, einer desolaten Basketballhalle, in der sich KünstlerInnen aus aller Welt regelmäßig trafen, um sich jenseits der offziellen Theaterwelt auszutauschen. An einem solchen Ort liegt die Kraft, die Claudia Heu und Jeremy Xido ursprünglich zueinander geführt hat und schließlich zu ihrem zentralen Anliegen wurde, als sie CABULA6 im Jahr 2003 gründeten: Die Macht der Peripherie.
Seither haben sich CABULA6 den inoffiziellen Begegnungen verschrieben, die Professor Alan Liu von der University of California in Santa Barbara als „eine dichte, unberechenbare Zone der Begegnung” beschreibt, „mehr Grenzland denn Grenzlinie – in dem (Miss)Verständnis […] entlang sich drehender, fragmentarischer und widersprüchlicher Vektoren verhandelt wird”. Eine Zone zwischen Realität und Fiktion also, oder – anders ausgedrückt – zwischen objektiven und subjektiven Wirklichkeiten, die CABULA6 zu besiedeln und als experimentellen Spielraum auszuleuchten versucht.
Spur – das Stück mit dem das Kollektiv 2003 seine Arbeit begann – war eine Einladung des Tanzquartier Wien, sich mit Denkmälern in Wien auseinanderzusetzen. CABULA6 interessierte dabei das Monument als physisches Objekt im öffentlichen Raum, in dem sich staatliche und andere konkurrierende, inoffizielle Interessen, sowie kollektives und individuelles Erinnern kreuzen. Die Intention von CABULA6 war, die Art und Weise, wie Menschen die Aneignung des öffentlichen Raums und verschiedener Narrative der Vergangenheit definieren, umdeuten, fordern und in Frage stellen, zu erforschen und die rigide Gestalt des Monuments aufzubrechen. Um die monopolisierende Macht der Geschichtsschreibung zu unterlaufen, richtete CABULA6 die Aufmerksamkeit auf die persönlich erlebte Erfahrung. Die Geschichte der Stadt sollte in ein Spiel verwandelt werden, das von den Beteiligten aktiv gespielt werden konnte.
CABULA6 entwickelte Charaktere und Geschichten, die sie im Jahr 1919 ansiedelten. Die teilnehmenden Personen sollten sich tatsächlich auf den Pfaden dieser imaginären Charaktere im Kontext jener Zeit bewegen, während sie in ihren eigenen körperlichen und psychischen Identitäten durch das Wien des Jahres 2003 gehen. In Form einer Audio-Tour hatte jede/r TeilnehmerIn individuell die Möglichkeit im Kopf dieser Person aus dem Jahre 1919 zu sein. Diese imaginäre Person bot den TeilnehmerInnen eine Matrix an, in der sie sehen und fühlen konnten, die suggerierte, wie sie die Welt betrachten können. Hier war das Spiel der dynamische Versuch, sich einem fiktiven Raum mittels des realen Körpers anzunähern; die PassantInnen und die Architektur wurden für die Zwecke eines persönlichen Narrativs beansprucht.
Diese Beziehung zwischen Form, Inhalt und dem Begriff des Spiels wurde für die nachfolgenden Projekte von CABULA6 zur treibenden Kraft. Einige Stücke von CABULA6 wie trace (2005), the angola project (2009 – 2011) oder eixam (2007) führen auf die Bühne im Theaterraum, bei anderen landet man auf der Ladefläche eines LKWs (last minute, 2003), auf einer Brücke über einem verseuchten Fluss (re imaging utopia, 2009) oder in einem Schiffscontainer in einer Flüchtlingssiedlung am Stadtrand Wiens, wie im dreiteiligen Projekt life on earth (2007 – 2009). Die Filmarbeiten bewegen sich an der Grenze zwischen Dokumentar- und Spielfilm, wie zum Beispiel die crime-Serie (2006), eine Aufarbeitung der gesellschaftlichen Narrative von Kriminalfällen in sechs verschiedenen europäischen Städten. Die Filme wurden in der jeweiligen Umgebung der Stadt gezeigt, die von dem Fall betroffen war (z. B. in Rosignano Solvay in der Mensa der Fabrik, die in einen Umweltskandal verwickelt war) und diente als Basis für einen Dialog innerhalb der Communities. hair (2011), ein neues Performanceprojekt, kollaboriert mit verschiedensten Friseursalonen der Stadt und konzentriert sich auf die Haare selbst und die mit ihnen verbundenen Konnotationen.
CABULA6 erschließt sich und ihrem Publikum neue Erfahrungsräume in Bezug auf persönliche Wahrnehmungen und Erinnerungen und reflektiert dabei auch sozio-politische Themen wie Globalisierung und Migration. Sie untersuchen und unterwandern Zwischenräume, Räume des Übergangs, in denen die Regeln der Normalität aufgehoben oder in Frage gestellt werden. Der Anthropologe Victor Turner bezeichnet dies auch als „Grenz- oder Schwellenraum“, jene teils physische, teils theoretische Peripherie, die durch Ambiguität, Erstmaligkeit und Unbestimmbarkeit charakterisiert ist, immer knapp an der Grenze zur Illegalität. Gerade dort suchen CABULA6 nach neuen Perspektiven, stellen Normen und vorgegebene Informationen in Frage und versuchen Welten zu verbinden.
Claudia Heu, Jeremy Xido und Marlies Pucher.